Immer wieder liest man: "Sag doch einfach öfter mal nein!" Ja eh. Gut gemeinter Ratschlag. Leider ist es aber eben nicht so einfach. Nein sagen zu lernen ist eine große Sache, wenn man es nie richtig gelernt hat - und eine enorm wichtige.
Letztens in einem Coaching: In der Trance, in der es um mehr Abgrenzung für meine Klientin geht, reagiert sie richtig körperlich als wir zu der Stelle kommen, wo es konkret ums Nein-Sagen geht. Nein zu sagen, das hat sie nicht gelernt. Ganz im Gegenteil, ihr Umfeld hatte ihr über Jahrzehnte beigebracht, was sich gehöre, und dass man eigene Bedürfnisse zurückstecken solle (und alle hatten es gut gemeint und nach bestem Wissen diese Werte weitergegeben). Wenn es aber jetzt drum geht, irgendjemandem eine Bitte abzuschlagen, zieht sich in ihr alles zusammen, denn: Das geht ja nicht! Das kann man nicht machen! Leider passiert das schon lange in einem Ausmaß, das ihr nicht guttut und sie belastet - das eigene Studium kommt zu kurz, das, was sie braucht, kommt zu kurz. Die Folgen: Stress und Unzufriedenheit.
Nein sagen, sich abgrenzen ... eine richtig große Aufgabe
Der Satz "Sag doch öfter mal Nein", den man so oft in Ratgeber-Artikeln oder Büchern liest, ist nett und legt nahe, dass das auch so einfach gehen würde. In meinen Coachings zeigt sich aber oft, dass das Nein-Sagen und Abgrenzen ein viel größeres Thema ist, als es durch solche lapidaren Sätze den Anschein hat.
Nein-Sagen und Abgrenzen ist ein Thema, bei dem oft tiefe Überzeugungen wirken und es deshalb intensive Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung braucht, um es nachhaltig verändern zu können.
Nein zu sagen ist schwierig, weil wir Menschen uns zugehörig fühlen möchten und wir fürchten, dass uns die Abgrenzung ausgrenzen könnte. Und einen weiteren Grund gibt es, warum uns das Nein-Sagen so schwer fällt: sich um andere zu kümmern, da zu sein, zu helfen, zu unterstützen und Bitten nachzukommen ist gesellschaftlich höchst anerkannt.
Die Wichtigkeit der Abgrenzung und des Nein-Sagens
Mehr "Ja" zum "Nein" zu sagen, ist aus mehreren Gründen aber enorm wichtig:
Wir haben alle täglich viele Herausforderungen zu meistern - es ist wichtig, aufmerksam mit seinen Ressourcen, seiner Energie und Kraft umzugehen.
Wir brauchen alle eine Balance zwischen Anstrengung und Entspannung - es geht oft auf Kosten unserer Leistungsfähigkeit und unseres Wohlbefindens, wenn wir ständig Dinge tun, die wir eigentlich nicht tun wollen.
Uns allen tut laut Studien Selbsttreue enorm gut und sie ist ein wichtiger Faktor in der Burnout-Prävention - also seinen eigenen Werten und Bedürfnissen entsprechend zu leben und zu agieren - das geht nur, wenn man gut unterscheidet, wann man Ja und wann man Nein sagt.
Unser Ärger, dass gewisse Dinge immer an uns hängen bleiben oder wir immer gebeten werden, uns um dieses oder jenes zu kümmern, kann im Laufe der Zeit so groß werden, dass er irgendwann recht wuchtig aus uns herausbricht und dann zerstörerisch sein kann.
Am Anfang hilft das Forschen ...
Wer anfangen möchte, sich dem Nein ein bisschen anzunähern, dem sei als Erstes ein bisschen Forschungsarbeit empfohlen:
Was glaube ich, dass passiert, wenn ich mehr Nein sage?
Die anderen mögen micht nicht mehr? Wenden sich von mir ab? Grenzen mich aus? Attackieren mich?
Was denke ich, wer ich bin, wenn ich mehr Nein sage? Wie ich dann bin?
Egoistisch? Unfreundlich? Ignorant? Ein schlechter Mensch? Eine schlechte Kolleg*in?
Und dann kommt meine Lieblingsfrage ins Spiel: Stimmt das?
Ich plädiere auch bei diesem Thema dafür, die Vorstellungskraft FÜR uns zu nutzen:
Wenn ich mir vorstelle, ich hätte in dieser oder jenen Situation Nein gesagt, was wäre passiert? Nix Schlimmes, oder?
Spannendes Experiment, viel Freude damit!
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